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TECHNOLOGIE & TRANSFORMATION VON FOSSILEN UND GRÜNEN ENERGIETRÄGERN TECHNOLOGY & TRANSFORMATION OF FOSSIL AND GREEN ENERGIES

Das BMO Center, Stampede Park in Calgary, Foto: EEK/Peter Leuten

Unter veränderten Vorzeichen: Branchentreffen in Calgary

Erstmals dominieren klimaspezifische Themen den World Petroleum Congress. Trotz der Gebotenen Kurskorrektur zeigt sich aber eines: So schnell wird sich das tradierte Wirtschaftsmodell nicht ändern

BMO Center, Stampede Park, Calgary, das war der Austragungsort der nunmehr 24. Auflage des World Petroleum Congress vom 17. bis zum 21. September, dem weltweit wichtigsten und größten Treffen der Öl- und Gasbranche, auf dem nicht nur die Repräsentanten der großen Konzerne, sondern auch unzählige Experten, Manager und Wissenschaftler zusammenfinden.
Hinter dem seit 1991 im dreijährigen Rhythmus veranstalteten Mega-Event steht der jüngst umbenannte, ehemalige World Petroleum Council, der für 95 % der weltweiten Erdöl- und Erdgasproduzenten und damit 60 Förderländer steht und der bei den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation akkreditiert ist.
Über 10.000 Teilnehmer und rund 5.000 Delegierte aus 111 Ländern, resümierte nach Abschluss der Veranstaltung Ende September der kanadische Organisationsausschusses (OCAN) stolz, hätten an dem Kongress teilgenommen. Darüber hinaus hätten sich mehr als 200 Aussteller auf gut und gerne 21.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert.
Auch das auf die Beine gestellte Programm konnte sich sehen lassen: Acht Plenar-Sessions, 23 Strategie-Sessions, zwölf Ministerial-Sessions, 17 technische Foren sowie deutlich über 50 Vorträge auf der Digital Poster Plaza, die man aus rund 1.200 eingereichten Abstracts ausgesucht hatte, wurden geboten. 
Höhepunkt der Eröffnungszeremonie, die mit einer Keynote von Jonathan Wilkinson, dem kanadischen Minister of Energy and Natural Resources, und Redebeiträgen von Danielle Smith, der Premierministerin von Alberta, sowie Jyoti Gondek, Bürgermeister von Calgary, eingeleitet wurde, war sicher der Auftritt von Saudi-Arabiens Energieminister Prince Abdulaziz Bin Salman Al Saud und Saudi Aramco Präsident und CEO Amin Nasser, der anschließend von Pedro Miras Salamanca, Präsident des World Petroleum Council mit dem prestigeträchtigen WPC Dewhurst Award für besondere Verdienste für die Erdöl- und Erdgasindustrie geehrt wurde. Auch andere Branchengrößen wie ExxonMobil-Hauptgeschäftsführer Darren Woods und Repsol CEO Josu Jon Imaz ließen sich anlässlich weiterer Veranstaltungen blicken.
All das klingt zunächst nach einer aus dem mittlerweile 90 Jahre währenden Bestehen des Council längst gewohnten Agenda. Doch dieser Eindruck täuscht: Der Wind hat sich auch für die klassische Öl- und Gasindustrie gedreht. Dieses Jahr sei es erstmalig so, stellte etwa Denis Painchaud, Präsident und CEO der Kanada-Sektion des WPC, heraus, dass „sich das Hauptinteresse der Konferenz auf klimaspezifische Diskussionen richte“. Noch pointierter formulierte es in einer Plenar-Session Rodolfo Saboia, Direktor der Brasilianischen Agency of Petroleum, Natural Gas and Biofuels (ANP): Man sei mit einen Tanker „im flachen Wasser unterwegs“ und brauche einen neuen Kurs. 
Dass dies auch die Mehrzahl seiner Mitglieder so sieht, ist in aller Deutlichkeit bereits an der unlängst beschlossenen neuen Namensgebung des vormaligen World Petroleum Council in WPC Energy abzulesen. Folgerichtig startete denn auch der diesjährige World Petroleum Congress mit einer sonsthin wahrscheinlich undenkbaren Unterzeile in seine 24. Auflage: „Path to net zero“.


Path to net zero – ein Etiketten-Schwindel?
Aus der vermeintlich moralisch überlegenen Sicht der Europäer drängt sich dieser Verdacht vielleicht auf. Doch so einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Sicher, hier kollidieren zwei völlig unterschiedliche Perspektiven miteinander. 
Während Michael Cohen, Chefvolkswirt und Leiter der Abteilung Öl und Raffinerie bei BP im Strategie-Dialog zur Energiezukunft hervorhob, dass 80 % der europäischen Märkte für Diesel ihren Peak erkennbar hinter sich haben und etwa in Deutschland der Gasverbrauch zuletzt deutlich gefallen sei, konterte Izwan Ismail, Präsident und CEO von Petronas Canada, dass 60 % der Weltbevölkerung in Ländern lebten, deren Wirtschaft gerade im Wachstum begriffen sei und dies beim Thema Energie nicht unterschlagen werden dürfe.
Kein Wunder also, wie etwa Amin Nasser, Saudi Aramco-CEO, in seiner Dankesrede zur Verleihung des Dewhurst Award vorrechnete, dass der Ölverbrauch bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahres ein nie zuvor erreichtes Rekordniveau von 103 bis 104 Mrd. Barrel täglich erreichen dürfte. Erneuerbare Energiequellen könnten in diesem Kontext allenfalls 5 % des Energiebedarfs decken. Angesichts der daraus resultierenden immensen Emissionen dürfe man keineswegs den durch Kohleverstromung gedeckten gigantischen Energiebedarf in China aus den Augen verlieren. 
Auch Carlos Travassos, Chief Engineering Technology & Innovation Officer, Petrobras, formulierte unzweideutig, „ein Stop der Erdölförderung käme allein wegen sozialer Erwägungen nicht in Frage“ – auch weil er eine weitere Steigerung der Ölnachfrage erwartet.
In welchen Dimensionen man die Zunahme des Energiebedarfs in manchen der Länder mit absehbar nachhaltigem wirtschaftlichem Wachstum sieht, wird am Beispiel der Prognose von Nicke Widyawati deutlich, Präsidentin und CEO des indonesischen Erdöl- und Erdgaskonzerns Pertamina, die davon ausgeht, das „energy transition“ im Großen und Ganzen zu nicht mehr als „energy addition“ führen wird.
Überhaupt darf allein die Zahl hochkarätiger Repräsentanten kommender wirtschaftlicher Schwergewichte – allen voran Indien und Brasilien – durchaus als Indikator einer sich vollkommen neu konsolidierenden geopolitischen Kräfteverteilung angesehen werden. Und selbstverständlich hat man im Machtzentrum der Branche im Nahen Osten die Belange der bestehenden und kommenden BRICS-Staaten auf dem Radar.
Entsprechend selbstbewusst tritt so mancher Deligierter in Calgary auf: So schmettert etwa Osvaldo A. Inácio, Executive Director der angolanischen Sonangol, den Europäern entgegen: “Vergesst die Farben von Wasserstoff und konzentriert euch auf CO2-Reduktion!“ Und auf die Frage, was passieren müsse, um die Energietransformation zu beschleunigen, antwortet Dong Sub Kim, Präsident & CEO der koreanischen National Oil Corporation, auf seine Weise. „Die Ölindustrie“, gibt er sich überzeugt, „wird immer tun, was sie am besten kann: Öl und Gas produzieren mit möglichst geringen Energieverlusten“.
Weiter also wie bisher? Während in dem leidenschaftlichen Statement von Muhammad Al-Saggaf, Präsident der King Fahd University of Petroleum & Minerals, die Wissenschaft müsse die Menschheit mit substanziellen Fortschritten weiterbringen, noch das Prinzip Hoffnung mitschwingt, klingt die Antwort der meisten Akteure weit abgeklärter und ist im Wesentlichen auf einen simplen Nenner zu bringen: Emissionsreduktion!


Emissionsreduktionsstrategien
Fern von der europäischen Fixierung auf Wasserstoff diskutiert die übrige Welt abhängig von jeweils individuellen Voraussetzungen und Vorbedingungen hier eine breite Palette möglicher Strategien. So wies etwa Ranjit Rath, Chairman & Managing Director Oil India Limited, darauf hin, dass auf dem kurz zuvor in Neu Dehli abgehaltenen G20-Gipfel auf die Initiative Indiens hin die Global Biofuel Alliance (GBA) aus der Taufe gehoben wurde. Außerdem wolle Indien künftig 10 % seines Primärenergiebedarfs mit Gas decken und dazu rund 20.000 Kilometer Pipeline bauen. Selbstbewusst stellte auch der brasilianische ANP-Direktor Saboia heraus, dass 80 % der Stromerzeugung seines Landes auf Basis erneuerbarer Energie stattfänden und Bio Fuels in Brasilien seit den späten 1970ern einen bedeutenden Teil der Kraftstoffversorgung deckten. Insofern hätten Autofahrer in Brasilien einen kleineren Fußabdruck als E-Autofahrer in Europa. 
Wie unterschiedlich die Sicht auf den Klimaschutz und einzelne damit in Verbindung stehende Projekte sein können, illustriert auch ein zum Thema Reduktion der Methanemissionen von Saif Al-Humaimi, Prozess- und Konzeptingenieur von Petroleum Development Oman lLC, vorgestelltes Projekt, bei dem Methan zur Stromproduktion genutzt wird, der wiederum dem Bitcoin-Mining dient. Bis sich hier also eine gemeinsame Strategie herausbildet, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Einerseits. 
Denn andererseits zeichnet sich ein Handlungsfeld unübersehbar ab: Die Konzentration auf CO2, den Hauptverursacher der aufkommenden Klimakrise. Sichtbaren Niederschlag fand das in Calgary schon in dem Umstand, dass dem Komplex eigens eine Ausstellungsfläche gewidmet wurde für eine Carbon Tech Expo. So bestimmte denn auch Carbon Capture, (Utilization) and Storage (CC(U)S) die Headlines zahlreicher Tech-Sessions und Diskussionsrunden und zog sich wie eine rote Linie auch durch eine Vielzahl von Vorstellungen wissenschaftlicher Facharbeiten auf der Digital Poster Plaza, die damit mehrfach unübersehbar ins Zentrum des Interesses rückte. 
In Summe unterdessen bleibt einzuräumen, dass dem „U“ –. also der CO2-Nutzung in neuen Proezessketten – auch hier noch eine Sonderposition zukommt. An vorderster Stelle diskutiert und in erstaunlich vielen Fällen bereits praktiziert ist hingegen die Speicherung von CO2.
So hat Kanada, wie Justin Riemer, CEO Emission Reduction Alberta (ERA), berichtete, mit Weyburn-Midal längst sein erstes CCS-Projekt abgeschlossen und mit Wolf Midstream bereits die nächste Lagerstätte in Arbeit. Auch in Indonesien gibt es, so war von Pertamina-CEO Widyawati zu erfahren, erste CCS-Hubs. In Norwegen, resümierte Tore Loseth von Equinor, habe man inzwischen mehr als 2,5 Mio. t CO2 gespeichert, und China macht sich nach den Worten von Guangfu Wang, Deputy President of Petroleum Exploration and Production Research Institute (Sinopec) bereit, bis 2030 10 Mio. t CO2 zu speichern. Auch Saudi-Arabien will hier nicht zurückstehen. Für sein Land, beteuerte der Leiter der Abteilung für zirkulare Kohlenstoffwirtschaft Rayed Al Harby aus dem saudischen Energieministerium, steht CC(U)S im Zentrum der eigenen Emissionsreduktionsstrategie, daher wolle man bis 2027 im Rahmen der „Saudi Green Initiative“ ein großes Speicherfeld in Betrieb nehmen. 


Energiewende in Partnerschaft mit den Ölmultis?
In vielen Regionen auf der Welt hat die Branche also den Weg zur Emissionsreduktion eingeschlagen, soweit die gute Nachricht. Die Vorstellungen über die Wege dorthin unterdessen könnten unterschiedlicher kaum sein. Eines allerdings ist hier nicht wegzudiskutieren: Ohne die Unterstützung durch die vormaligen Ölmultis dürfte das kaum zu bewerkstelligen sein. Wer sonst, so der in Kanada oft vorgebrachte Einwand, sollte die immensen Investitionen schultern?
Europa und noch viel weniger die USA mit ihrem gigantischen Inflation Reduction Act taugen da nicht unbedingt als Blaupause. Doch den Konzernen ihrerseits fehlt für ein weitreichendes Engagement all zu oft ein belastbarer Business Case. Nicht umsonst hätten Shell und andere Firmen, wie in diesem Zusammenhang Al Harby aus dem saudischen Energieministerium einwandte, auf Druck der Investoren ihr Engagement in jüngster Zeit wieder ein Stück weit zurückgefahren. 
Das Fehlen von Regulierungen, so scheint es, führt hinsichtlich von Investitionen in den Klimaschutz zu mehr oder weniger alleiniger Abhängigkeit von Erwägungen der Wirtschaftlichkeit. Daher sei es ERA-CEO Justin Riemer zufolge für Kanada so wichtig, dass es, wie seit 2007 in Alberta, eine CO2-Steuer gebe.

Erdgas
Artikel Redaktion EEK
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