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TECHNOLOGIE & TRANSFORMATION VON FOSSILEN UND GRÜNEN ENERGIETRÄGERN TECHNOLOGY & TRANSFORMATION OF FOSSIL AND GREEN ENERGIES

Bild: VNG

Ukrainekrieg als Zäsur für VNG

VNG: „Der Ukrainekrieg bedeutet eine Zäsur für VNG“, mit diesen Worten eröffnete der sichtlich angespannt wirkende VNG-­Vorstandsvorsitzende Ulf Heitmüller die Bilanzpressekonferenz des Unternehmens. VNG war, wie aktuell vermutlich kein zweites Energieunternehmen, partnerschaftlich mit Russland und Gazprom verbunden. Diese partnerschaftlichen Be­ziehungen gingen deutlich über reine Gas­lieferbeziehungen hinaus. So hat die VNG gemeinsam mit Gazprom Export 2006 die Gründung des Deutsch-­Rus­si­schen Rohstoffforums unterstützt und in den vergangenen Jahren aktiv mit begleitet und gestaltet.

Fast alle gemeinsamen Aktivitäten mit russischen Partnern wurden mit Beginn des Krieges eingestellt. Ausgenommen sind die Gaslieferbeziehungen und ein gemeinsames Speicherprojekt in Ostdeutschland. VNG und Heitmüller als Person gehören zu denjenigen, von denen die Bundesregierung bei allen ihren Schritten sich von russischem Erdgas zu lösen, intensiv beraten wird. Heitmüller war auch mit dem Wirtschaftsminister Robert Habeck in Katar, um die Möglichkeiten von kurz- und mittelfristigen LNG-Lieferungen aus dem Scheichtum auszuloten.

Vor dem Hintergrund seiner Kenntnis der gaswirtschaftlichen Situation warnt Heitmüller aufgrund der wirtschaftlichen Folgen sehr klar vor einem kurzfristigen Embargo für russisches Erdgas, da die russischen Mengen kurzfristig nicht zu ersetzen seien. Auch ein Ende der russischen Erdgaslieferungen schon im Jahr 2024, wie es manche Vertreter der Bundesregierung fordern, ist aus seiner Sicht unrealistisch. VNG ist in Gesprächen mit norwegischen Unternehmen über zusätz­liche Gaslieferungen, aber kurzfristig können größere Mengen nur im globalen LNG-Handel in Konkurrenz zu anderen Nachfragern beschafft werden. Dies hat Auswirkungen auf die Preise und Verfügbarkeit.

Deutschland und Europa kann kurz und mittelfristig nicht auf Erdgas verzichten

Heitmüller betonte zudem, dass die Bundesrepublik, aber auch Europa, kurz- und mittelfristig nicht auf Erdgas verzichten kann, da Substitutionsprozesse Zeit benötigen. Ferner seien in Zukunft weiter Moleküle von hoher Relevanz für die Energieversorgung, deshalb sei eine Transformation zu grünen Gasen notwendig. Konkret forderte Heitmüller die Bundesregierung zur Unterstützung dieser Transformation auf, die nationale Wasserstoffstrategie anzupassen und die angekündigte Biomassestrategie schnell vorzulegen: „Wir müssen dabei Partnerschaften bei einer hohen Technologieoffenheit und Kompromissbereitschaft neu denken“, sagte Heitmüller und fügte hinzu, man benötige „Transformationskompromisse“ anstelle einer Überregulierung. „Stop talking, start walking“, müsse das Motto für eine beschleunigte Umsetzung der Energiewende werden.

Die VNG wird die Unternehmensstrategie anpassen. Aktuell bezieht das Unternehmen noch rund 100 TWh russisches Erdgas. Für 35 TWh läuft der Vertrag Ende des Jahres aus, für 65 TWh besteht ein Vertrag bis 2030, der auch erfüllt werden soll, wenn die Geopolitik dies zulässt. Auf die Frage, ob die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, nur noch Zahlungen in Rubel zu akzeptieren, diese Lieferungen in Frage stellen, sagte Heitmüller was dies bedeutet werde gerade gemeinsam von allen Unternehmen, die russisches Gas beziehen und der Bundesregierung, geklärt. Einen Teil der Mengen aus Russland bezieht VNG aus historischen Gründen nicht direkt von Gazprom Export, sondern über das Wintershall Erdgas Handelshaus (WIEH), einer Tochtergesellschaft von Gazprom Germania (GPG). Unter anderem deshalb ist VNG direkt von der treuhänderischen Verwaltung der GPG durch die Bundesnetzagentur betroffen. Heitmüller begrüßte den Schritt und betonte er habe großes Vertrauen in die Bundesnetzagentur.

Der Gasbezug soll weiter diversifiziert werden

VNG will im Rahmen der Strategieanpassung den Gasbezug weiter diversifizieren. 2021 wurden 196 TWh an Stadtwerke und Industriekunden verkauft, fast 25 Prozent mehr als 2020. Dazu kommen Verkäufe an Haushalts- und Gewerbekunden von 6 TWh (2020: 5 TWh) und 560 TWh Handelsmengen, knapp 30 Prozent mehr als 2020. Der Bezug von LNG soll mit Tempo angegangen werden, um das Bezugsportfolio zur Belieferung der Kunden weiter zu diversifizieren. Aber obwohl Heitmüller mit Habeck in Katar war, der LNG-Handel und die Beschaffung wird von der Handelseinheit der VNG-­Mut­ter EnBW durchgeführt. Dort wurde schon vor ein paar Jahren ein Team aufgebaut, das LNG handelt. EnBW hat kürzlich bekannt gegeben, dass Kapazität in dem geplanten Terminal in Stade gebucht werden soll. Zu seinem Besuch in Katar sagte Heitmüller lediglich, es sei gut, dass die Bundesregierung den Türöffner gespielt habe.

VNG will zudem Schritte unternehmen, um schneller aus Erdgas auszusteigen. Wie das genau aussehen soll, blieb im Rahmen der Bilanzpressekonferenz offen. Seit rund fünf Jahren baut VNG über die Tochtergesellschaft Balance das Portfolio an Biogas- und Biomethananlagen aus. Ende 2021 wurden 38 Anlagen betrieben. Die Feuerungswärmeleistung beträgt insgesamt 157 MW. Nach Einschätzung des zuständigen Technikvorstands Hans-Joachim Polk gehört VNG damit zu den größeren Spielern in dem Segment. Zum Gesamtergebnis vor Steuern und Zinsen (EBIT) trägt der Bereich aber bisher nur einen unteren einstelligen Millionen-Euro-Betrag bei. Biogas ist einer der Investitionsschwerpunkte. Die geplante Novelle des EEG, die sich im Gesetzgebungsprozess befindet, könnte aber die Entwicklung in dem Segment bremsen. Der Einsatz von Biomethan soll auf die Stromerzeugung zur Spitzenlast, so genannte „Peaker“, die weniger als 1.000 Stunden im Jahr laufen, begrenzt werden: „An der Novelle muss nachgearbeitet werden, wir haben uns mehr Freitheit gewünscht“, sagte Polk. Noch keine Ergebnisbeiträge leisten die verschiedenen Wasserstoffprojekte, an denen VNG beteiligt ist. Neben dem „Leuchtturmprojekt“ Energiepark Bad Lauchstädt, für das VNG und seine Projektpartner 2021 eine Bundesförderung als „Reallabor der Energiewende“ erhalten haben, sind es vor allem Projekte zum Aufbau eines Wasserstoffnetzes, an denen der Fernleitungsnetzbetreiber der VNG, Ontras, beteiligt ist. In Bad Lauchstädt soll 2023 Baubeginn sein.

Alle Planungen wurden übertroffen

Über Zahlen wurde bei dem Bilanzpressegespräch auch gesprochen. 2021 war für VNG ein sehr gutes Geschäftsjahr. Alle Planungen, so Finanzvorstand Bodo Rodestock, seien übertroffen worden. Das angepasste EBIT stieg von 179 auf 225 Millionen Euro, das Konzernergebnis nach Steuern sogar von 46 auf 141 Millionen Euro. Den größten Ergebnisbeitrag liefert die Ontras mit mehr als 100 Millionen Euro. Für die Ergebnissteigerung war vor allem der Handel mit einer erfolgreichen Portfoliooptimierung dank volatiler Handelspreise verantwortlich.

Die Aussichten für 2022 sind allerdings angesichts vielfältiger Risiken vor allem durch die Unsicherheiten bei der weiteren russischen Gasversorgung völlig unklar. Heitmüller wollte keine Ergebnisprognose abgeben. Um für die mögliche Liquiditätsbelastung durch die Notwendigkeit, bei der Börse bei steigenden Preisen zusätzliche Sicherheiten zu stellen, so genannte Margin Calls, gewappnet zu sein, hat VNG von der KfW eine Kreditlinie von 1 Milliarde Euro bekommen. Dies sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, betonte Rodestock. Bisher seien nicht einmal die eigenen Linien voll ausgereizt.

Zum Abschluss der Bilanzpressekonferenz kam Heitmüller noch einmal auf Russland zurück. Perspektivisch müsse man sehen, welche Kooperationen möglich seien. Es sei nun mal das größte Land der Erde, und man habe gemeinsame Probleme. So habe man bezüglich der Frage wie mit tauenden Permafrostböden umzugehen sei, erste gemeinsame Überlegungen begonnen. Dies sei ein Thema, bei dem eine Kooperation notwendig und sinnvoll sei. Aber aktuell ist es natürlich schwierig, sich eine solche zukünftige Kooperation vorzustellen.

Erdgas
Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann