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LNG kann in aktueller Gaskrise nur bedingt helfen

„Wenn es zu harten Sanktionen kommt, werden wir versuchen, soweit wie möglich LNG-Mengen nach Europa umzuleiten“, so die Shell-Manager Hill und Sawan anlässlich der jüngsten Präsentation des „Shell LNG Outlooks“. Allerdings handele es sich aktuell um einen „unglaublich engen Markt“.

Eher zurückhaltend äußerten sich die Shell-­Manager Wael Sawan, Direktor für Integrated Gas, Renewables und Energy Solutions, und Steve Hill, Executive Vice President Energy Marketing, bei der Präsentation des jährlichen Shell LNG Outlooks. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, selbst bei einer Unterbrechung der Lieferungen aus Russland sei die Versorgung in diesem Winter gesichert: „Wir sind aktuell in der Lage, russisches Erdgas durch LNG-Lieferungen zu ersetzen, die wir von unseren Freunden aus allen Teilen der Welt erhalten werden“.

Sawan war bezüglich der Potenziale solcher „Freundschaftslieferungen“ eher zurückhaltend: „Wenn es zu harten Sanktionen kommt, werden wir versuchen, soweit wie möglich LNG-­Mengen aus dem mittlerweile enorm großen LNG-Markt nach Europa umzuleiten. Aber man muss berücksichtigen, dass es aktuell ein unglaublich enger Markt ist. Freie Mengen sind nicht ohne weiteres verfügbar“. Sawan und Hill wiesen darauf hin, dass aufgrund des auch in den kommenden Jahren knappen LNG-Angebotes 2021 vermehrt langfristige Verträge abgeschlossen wurden, um sich Mengen aus neuen Verflüssigungsprojekten zu sichern. Allerdings waren es keine europäischen Versorger, sondern vor allem asiatische Unternehmen, die solche Verträge abgeschlossen haben. Allen voran natürlich China. Verträge mit einer Laufzeit von in der Regel 15 Jahren für mehr als 20 Millionen Tonnen LNG (rund 26 Milliarden m3, oder rund 290 TWh) haben chinesische LNG-­Importeure im vergangenen Jahr unterzeichnet. Das Gesamtvolumen der neuen Langfristverträge lag bei rund 32 Millionen Tonnen LNG (42 Milliarden m3, rund 460 TWh). Damit habe China viel zur Verbesserung seiner Versorgungssicherheit getan, sagte Hill, während Europa verletzlich bleibe und zunehmend der Preisvolatilität des LNG-Spotmarktes ausgesetzt sei. Hill nannte aber auch das Dilemma europäischer Versorger: Angesichts der Unsicherheit über die Zukunft von Erdgas und seine Rolle im europäischen Energiemix sei es für sie sehr schwierig, langfristige Verträge abzuschließen, um dadurch die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Sawan ergänzte, in Europa müsse alles getan werden, um für diesen und für den kommenden Winter die Versorgung zu sichern. Dies gelte vor allem für die Befüllung der Speicher, aber auch das gesamte Umfeld müsse auf die Sicherung der Versorgung ausgerichtet sein. Das Problem in Europa charakterisierte Sawan wie folgt: Die Erdgasproduktion in der EU ist deutlich zurückgegangen, es fehle eine klare Politik zur Speicherbewirtschaftung, und die Abhängigkeit vom Spotmarkt sei gestiegen. „Dies muss dringend reformiert werden“, betonte er. Die EU müsse sicherstellen, dass die vorhandenen Speicher auch gefüllt werden.

Die EU-Kommission sieht diesen Punkt. In einer noch inoffiziellen Mitteilung an das EU-Parlament und den Rat zu gemeinsamen Maßnahmen für mehr bezahlbare, sichere und nachhaltige Energie vom 18. Februar schlägt sie unter anderem vor, eine rechtlich verbindliche Verpflichtung für alle Mitgliedsstaaten einzuführen, am 30. September jedes Jahres einen noch zu bestimmenden Speicherfüllstand sicherzustellen.

Auch wenn die beiden Shell-Manager angesichts des engen LNG-Marktes keine Euphorie bezüglich der Versorgung Europas mit LNG verbreiteten, unterstrichen sie doch die aktuelle Bedeutung des LNG-­Angebotes für Europa. Seit Dezember 2021 ist das LNG-Angebot in Nordwest­eu­ropa deutlich gestiegen, vor allem die USA haben seitdem einen erheblich größeren Teil ihrer Exporte nach Europa geliefert. Aber es sind wohl weniger die diplomatischen Aktivitäten der EU-Kommission – wie diese in dem erwähnten Papier behauptet – sondern schlicht die Preissignale, die zu dem zusätzlichen LNG-Angebot geführt haben. Bis November lag der am meisten genutzte nordostasiatische Spotpreisindex, der Japan Korean Marker (JKM), noch bis zu 5,00 USD/MMBTU über dem TTF-Preis (immer das Jonglieren mit Einheiten im globalen Gashandel, in dem Fall sind es rund 14,00 Euro/MWh zum aktuellen USD/Euro-Wechselkurs). Im Dezember wurden an der TTF bis zu 10,00 USD/MMBTU (28,00 Euro/MWh) mehr als in Nordostasien bezahlt. Im Januar lag die Prämie immer noch bei bis zu 5,00 USD/MMBTU. Auf die Frage einer Journalistin, ob denn das hohe Angebot auch im Sommer 2022 erhalten bleibt, sagte Hill mit aller Vorsicht: „Derzeit wird in Asien wieder etwas mehr für Gas als in Europa bezahlt, deshalb kommen wir in ein stabileres Um­feld. Aber die europäischen Märkte werden – abhängig von der Nachrichtenlage – sehr volatil bleiben. Aber da in Asien der Winter mild war, besteht dort nicht in gleichem Umfang wie in Europa die Notwendigkeit, Speicher wieder zu befüllen. Deshalb erwarten wir weiter ein hohes LNG-Angebot, da die entsprechende Nachfrage da ist.“.

Eine Prognose der Preisentwicklung und der Situation der Gasversorgung in Europa in diesem Sommer wollte Hill nicht abgeben. Die aktuellen Terminpreise signalisierten bis Mitte 2023 ein weiter hohes Niveau. Dies sei aber keine Prognose, betonte er, sondern die erwartete Preisentwicklung der Händler auf Grundlage der aktuellen Informationslage. Die Preise könnten sich in beide Richtungen auch wieder deutlich ändern. Es sei durchaus ein Szenario denkbar, in dem die europäischen Marktteilnehmer in der Lage seien, die Speicher im Sommer so ausreichend zu füllen, dass der nächste Winter entspannter werde. Viel hänge aber von den russischen Gaslieferungen ab, dies sei aber nicht der einzige Unsicherheitsfaktor, so Hill. Shell hat einen zusätzlichen, handels­immanenten Faktor identifiziert, der zur Volatilität der Handelspreise beiträgt. Im Handelsmarkt sind mehr und mehr Hedge­fonds tätig: „An einzelnen Handelstagen korreliert die Preisentwicklung immer weniger mit den aktuellen Nachrichten über fundamentale Faktoren“, so Hill, der ergänzte: „Dies liegt daran, dass neue Akteure einfach Geld in und aus dem Markt bewegen.“ Diese Entwicklung sei so bedeutsam, dass man sie in die Präsentation des LNG-Outlooks aufgenommen habe. Aber – so Hill deutlich – das hohe Preisniveau sei durch fundamentale Faktoren bestimmt. Die angespannte Marktsituation wird Europa wohl erhalten bleiben, die kurzfristig wirkenden Handlungsoptionen der Politik sind vermutlich begrenzt. Aber es ist bemerkenswert, dass die Shell-Manager politisches Handeln und Eingriffe in den Markt einfordern.

Erdgas
Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann